Von der fragmentierten Fläche in den vernetzten Raum – Zu Gast beim GWÖ-Vorreiter sysTelios in Wald-Michelbach

Der Gesundheitssektor sieht sich wie kaum eine andere Branche mit dem Anspruch konfrontiert, über das ökonomische Gewinnstreben hinaus auch gesellschaftlichen Mehrwert zu leisten. Jahrzehntelanges Spardiktat und eine weitreichende Ausrichtung an der kapitalistischen Logik der Profitmaximierung haben in der Praxis jedoch häufig die Krankenfürsorge gegenüber ökonomischen Zielen ins Hintertreffen geraten lassen.

Als Zuständiger der Grünen Landtagsfraktion in Baden-Württemberg für das Thema Gemeinwohlökonomie (GWÖ) ist es die Aufgabe des Wieslocher Abgeordneten Norbert Knopf, in dieser Legislaturperiode gemäß dem Koalitionsvertrag fünf Landesbetriebe für eine GWÖ-Zertifizierung zu gewinnen. Da Knopf in seiner Fraktion zugleich für das Thema Gesundheitswirtschaft zuständig ist und Jahrzehnte bei einer Krankenversicherung tätig war, ist sein Bestreben umso größer, auch eine Gesundheitseinrichtung von diesem Vorhaben zu überzeugen.

„Meine bisherige Erfahrung zeigt, dass neben inhaltlicher Überzeugungsarbeit vor allem bereits mit GWÖ befasste Unternehmen aus der Branche als Anlaufstellen und Best-Practice-Beispiele von großem Wert sind“, erklärt Knopf. Daher hat er kürzlich den Schritt über die Landesgrenze gewagt und gemeinsam mit einer kleinen Delegation lokaler Gesundheitspolitiker die sysTelios Klinik im hessischen Wald-Michelbach besucht.

Ausgerichtet am „Wofür“ und „Wiefür“

2007 wurde die Klinik für Psychotherapie und Psychosomatik mit systemischem Schwerpunkt als private Nachfolge der Fachklinik am Hardberg eröffnet. Von Beginn an setzten die Gründer um Dr. Gunther Schmidt und Dr. Regina Reeb-Faller auf einen ganzheitlichen, in Inhalt und Form übereinstimmenden Ansatz nach den Prinzipien der Salutogenese von Aaron Antonovsky.

Angelehnt an die von Gunther Schmidt mitgeprägte Heidelberger Schule gestaltet sich auch die Unternehmens- und Führungskultur bei sysTelios als Herzstück eines alternativen unternehmerischen Ansatzes, wie Regina Reeb-Faller an plastischen Modellen anschaulich zu erklären weiß: Durch die zirkuläre Vernetzung der beiden großen Gegenpole menschlicher Grundbestrebungen, Bezogenheit und Individuation, anhand eines gemeinsamen Zwecks steht nicht die Vorgabe eines Chefs oder ein Einzelinteresse, sondern das vernetzte Streben aller nach dem „Wofür“ und „Wiefür“ im Mittelpunkt. Auch die von der Klinik erwirtschaftete Rendite ist damit kein Selbstzweck, sondern dient dem Erreichen des gemeinsamen Ziels.

Für die Klinikleitung leiten sich daraus und aus ihrem systemischen Therapieansatz zahlreiche Anknüpfungspunkte zur Gemeinwohlökonomie ab. Und so gab der Auftritt von GWÖ-Pionier Christian Felber als Keynote-Speaker beim zehnjährigen Jubiläum der Klinik gewissermaßen den Startschuss für die eigene Bilanzierung – wobei sich die sysTelios-Verantwortlichen noch ganz am Anfang dieses Prozesses sehen. Gerade die Einschränkungen während der Corona-Pandemie hätten sich zudem als enorme Herausforderung erwiesen, die bisherige Führungskultur und die Eingliederungsprozesse neuer Mitarbeiter in die eigene Unternehmensphilosophie beizubehalten.

Der lange Weg zu einer anderen Art des Wirtschaftens

„Der gesellschaftliche und demografische Wandel verlangt neue Wege, um ein anderes Wirtschaften nicht nur, aber auch im Gesundheitswesen zu verwirklichen“, ist auch Norbert Knopf von der Notwendigkeit zum Umdenken überzeugt. Damit, so ist der Abgeordnete überzeugt, entsteht eine Wirkung über die Branche hinaus: „Gesundheitsförderliche Bedingungen im Gesundheitswesen zu schaffen, ist wichtig für eine insgesamt gesündere Gesellschaft.“

Mit Blick auf die bevorstehenden Zertifizierungen von Landesbetrieben in Baden-Württemberg verweisen die Ansprechpartner der sysTelios Klinik auf die Komplexität des Prozesses und die mannigfaltigen Widerstände und Zweifel, mit denen alternative Formen des Wirtschaftens konfrontiert sind. Sie appellieren daher für die Schaffung einer übergeordneten, koordinierenden und vernetzenden Stelle für GWÖ-interessierte Unternehmen als Ansprechpartner für alle Schritte im Reform- und Zertifizierungsprozess.

„Die Ausrichtung eines Unternehmens an den Prinzipien der Gemeinwohlökonomie ist ein stetiger Prozess, in dem es initiierende Akteure braucht und eine gemeinsame Zielsetzung, die alle Beteiligten anspricht und motiviert“, fasst Norbert Knopf die Erkenntnisse aus dem Besuch in der sysTelios Klinik zusammen.