Der Landtagsabgeordnete Norbert Knopf (Bündnis 90/Die Grünen) sieht trotz bereits erreichter Vollakademisierung der Hebammenausbildung in Baden-Württemberg die bisher gute Ausbildungsqualität durch die Herausforderungen der Corona-Pandemie gefährdet.
Stuttgart/Wiesloch. Baden-Württemberg kann sich bei der akademischen Hebammenausbildung durchaus zeigen: In mehreren Stufen wurde das „Ausbauprogramm Akademisierung der Gesundheitsfachberufe“ umgesetzt. Um die Gewinnung des unabdingbaren Berufsnachwuchses sicherzustellen, hat die Landesregierung bereits zum Wintersemester 2017/18 Studienkapazitäten im Bereich der Hebammenwissenschaft an zwei Standorten eingerichtet. Zum Wintersemester 2021/22 schließlich konnte die baden-württembergische Landesregierung mit insgesamt 260 grundständigen Studienanfängerplätzen jährlich die sogenannte Vollakademisierung realisieren – und damit ein Jahr vor der gesetzlich vorgegebenen Frist im Januar 2023. „Diese zügige Umsetzung der Reform der Hebammenausbildung ist ein wichtiger Schritt hin zu einer erstklassigen Geburtshilfeversorgung für Frauen und ihre neugeborenen Kinder“, lobt der Gesundheitspolitiker Knopf die bisherigen Leistungen der Landesregierung.
Die Ressourcen beider zuständiger Ministerien waren in den letzten beiden Jahren jedoch stark durch die Corona-Pandemie gebunden, heißt es in der Antwort des Sozialministeriums auf eine Anfrage des Grünen-Abgeordneten. „Man muss bei diesem Prozess bedenken: Es wandern jetzt die Zuständigkeiten vom Sozialministerium, das bisher für die fachschulische Ausbildung verantwortlich war, zum Wissenschaftsministerium – dieser Systemwechsel in der Hebammenausbildung bedarf einer politischen Steuerung und Begleitung der zuständigen Akteure“, fordert Knopf. Er zeigt sich unzufrieden mit dem jetzigen Stand. „Von beiden Ministerien erwarte ich, diesen Nachholbedarf bei der Umsetzung jetzt aufzuholen“, sagt der Sprecher für Gesundheitswirtschaft und Hochschulmedizin der Grünen-Fraktion im Landtag. Vor allem bei Punkten wie der Sicherstellung der Koordinationsstellen in den Praxiseinrichtungen, aber auch bei der Zusammenarbeit der verantwortlichen Praxiseinrichtungen mit den kooperierenden Hebammen existieren erhebliche Engpässe, wie aus der Antwort hervorgeht. „Die Fachschulen waren und sind hier sehr gut vernetzt. Auf das Niveau müssen wir auch die Hochschulen bringen. Das zuständige Ministerium muss die Prozesse daher nun zielgerichteter mit den Akteuren steuern“, fordert Knopf weiter.
Angesichts des bereits bestehenden Fachkräftemangels stellt sich für Knopf nicht nur die Frage von Weiter- und Fortbildungs- sowie Nachqualifizierungsangeboten für Hebammen, sondern auch, inwiefern ausländische Berufsqualifikationen anerkannt werden. Laut dem Sozialministerium sei eine hochschulische Nachqualifizierung zum Erwerb des Bachelors zwar vorgesehen, aber „wann und in welcher Form das stattfindet, ist noch nicht geklärt“, bemängelt Norbert Knopf, der damit auch Hebammen für die Vollerwerbstätigkeit erreichen möchte, die sich in einer längeren Arbeitspause befinden. Auch finden Anpassungslehrgänge eher in der Praxis statt. Wie genau eine ausländische Berufsqualifikation in das hochschulische Setting integriert werden soll, lässt das Ministerium ebenfalls noch offen.
Für Norbert Knopf stehen in der Umsetzung noch viele weitere Fragen im Raum: etwa wie Curriculum und Prüfungsordnung in Bezug auf den Grundsatz der Freiheit von Lehre und Forschung der jetzt hochschulischen Ausbildung berücksichtigt werden, aber auch die Frage eines ausreichenden Finanzierungsaufwandes im Vergleich zu den Ausbildungsplätzen in den Fachschulen. Konkrete Antworten stehen noch aus.
„Das bisher vorhandene Know-how aus den Fachschulen in Form erfahrener Lehrkräfte sollten wir auf jeden Fall auch an die Hochschulen transferieren,“ fordert Knopf ebenfalls. In diesem Punkt gab das Wissenschaftsministerium zumindest eine klare Rückmeldung mit der Bitte an die Hochschulen, „entsprechende Bewerbungen wohlwollend zu prüfen“, wie es in der Antwort heißt.
Zwar hat gerade Knopf als Gesundheitspolitiker Verständnis für die Ressourcenbündelung während der Pandemie. Allerdings müssen gerade jetzt die guten Ergebnisse in der Akademisierung der Hebammen der Landesregierung durch gezielte Abstimmung beider Ministerien mit einem konkreten Fahrplan in der weiteren Umsetzung gehalten werden, so seine Kernbotschaft. Es bleibt im Ländle also durchaus noch Luft nach oben, wenn es um die Akademisierung der Hebammen geht.
Studieren an sechs Hochschulstandorten im Land möglich
In Baden-Württemberg können Studierende an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) an den Standorten Heidenheim, Karlsruhe und Stuttgart studieren. Ebenfalls bieten die Universität Freiburg, die Hochschule Furtwangen sowie die Universität Tübingen Studienanfängerplätze für angehende Hebammen an. In Tübingen wird ab dem Sommersemester 2022 ebenfalls ein konsekutiver Masterstudiengang mit insgesamt 30 Studienanfängerplätzen angeboten. Insgesamt stehen in Baden-Württemberg 260 Bachelor- und Masterstudienplätze zur Verfügung.