Ein Schlagwort, das man in allen Parteiprogrammen finden kann, ist Bürgerbeteiligung. Wenn man aber ein Wort in allen Programmen finden kann, dann sollte man stutzig werden.
Ich selbst habe in meinem bisherigen politischen Wirken immer auf Bürgerbeteiligung gesetzt. Auch im aktuellen Wahlkampf spielt die Beteiligung für mich eine große Rolle. Jedoch hat sich mein Verständnis für Bürgerbeteiligung mit den Jahren gewandelt.
Wirft man einen Blick auf die Definition von Bürgerbeteiligung in Wikipedia, so lautet diese: „Bürgerbeteiligung bezeichnet die Beteiligung der Bürger an einzelnen politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen und Planungsprozessen. (…) Der Begriff ist in der Theorie nicht scharf abgegrenzt und wird in der Praxis für eine Vielzahl unterschiedlicher Verfahren verwendet.“
Mit dieser Definition wird klar, dass somit jede Partei Bürgerbeteiligung versprechen kann und doch ganz Unterschiedliches meinen kann. Daher ist es auch wichtig, den Grad der Bürgerbeteiligung zu nennen. Man unterscheidet folgende fünf Ebenen:
- Informieren
- Konsultieren oder einholen
- Einbeziehen
- Kooperieren
- Ermächtigen
Je nach Ebene ist es also mit einer Information getan oder erst mit der Umsetzung des Bürgerwillens abgeschlossen.
Wie habe ich nun in den letzten Jahren Bürgerbeteiligung erlebt und gestaltet? Als ich 2014 frisch in die Kommunalpolitik kam, lag der Schwerpunkt zunächst auf dem Thema Einholen. So haben wir erfolgreich durchgesetzt, dass Bürger Vorschläge zur Neugestaltung des Linienbündels im Nahverkehr einbringen können. Die Vorschläge wurden alle verworfen, da sie nicht integrierbar waren. Eine Diskussion über weitergehende Veränderungen, die eine Umsetzung ermöglicht hätten, war zu diesem späten Zeitpunkt nicht mehr möglich. Das haben wir aber erst im Nachhinein bemerkt. Auch in der Radwegeplanung des Kreises wurden Vorschläge eingeholt. Die meisten konnten aber nicht berücksichtigt werden, weil die Grundkonzeption viele gute Ideen von vornherein ausgeschlossen hat. Ein tieferes Einbeziehen oder gar eine Kooperation hat nicht stattgefunden.
Aufgrund dieser Erfahrungen haben wir dann bei der Neugestaltung der Kramer Mühle in St. Leon-Rot ein Bürgerbeteiligungsverfahren angeregt. Dieses wurde auch angenommen und vorbildlich umgesetzt. Doch dann ist etwas Seltsames passiert. Die Vorschläge wurden nicht genommen, um dann umgesetzt zu werden, sondern um einen Architektenwettbewerb damit zu füttern. Die direkte Umsetzung der Bürgervorschläge ist damit ausgesetzt und obliegt nun der Ausführung und Umsetzung eines weiteren Gremiums. Hier kann es nochmals zu neuen Ideen und Änderungen kommen. Eigentlich müsste man nun im Anschluss nochmals eine Bürgerbeteiligung machen, um zu erfahren, welche Ideen nun wirklich gut verwirklicht sind. Dies wird aber wohl nicht geschehen, sondern diese Aufgabe wurde einem Beirat übergeben, der dann eine Empfehlung an den Gemeinderat gibt. Die Entscheidung über die Umsetzung liegt also beim Gemeinderat.
Doch nicht jeder ist von der Bürgerbeteiligung überzeugt. Ein Kritikpunkt ist, dass die Bürger ja schon durch den Gemeinderat an der Politik beteiligt sind und das müsste genügen. Diese Position ist mir fremd. Ich bin für 5 Jahre gewählt und habe ein ganzes Spektrum an Aufgaben im Gemeinderat zu entscheiden. Die Meinung meiner Wähler kann in vielen Fällen mit meiner übereinstimmen. Zu gewissen Punkten gibt es jedoch viele Möglichkeiten, und da finde ich das Einholen der Bürgersicht sehr hilfreich. Ich bin mir aber auch bewusst, dass ich zum Ende eine Entscheidung treffen muss und nicht der Bürger. Somit sehe ich mich auch immer voll in der Verantwortung.
Volle Bürgerbeteiligung wird daher von manchen Personen auch erst als solche gesehen, wenn die Entscheidung auch durch den Bürger getroffen wird. Das ist aber eine weite Auslegung des Begriffes Beteiligung und wird deshalb vielfach auch nicht unter Beteiligung, sondern unter dem Begriff „direkte Demokratie“ angesiedelt. Interessant ist hierbei, dass in letzter Zeit viele Populisten auf direkte Demokratie setzen. Der Brexit hat gezeigt, dass man Massen mit Versprechen und Halbwahrheiten auch zu unsinnigen Entscheidungen treiben kann. Daher sollte man sich genau überlegen, wie man Elemente der direkten Demokratie einführen will.
Eine gute Möglichkeit ist es, Bürger in Bürgerräte einzubinden. Diese werden zufällig, nach dem Anteil der Gruppen an der Bevölkerung, ausgewählt und tagen mehrfach. Ihnen stehen bei den Beratungen gute Informationsquellen und Experten für Fragen zur Verfügung. Am Ende steht dann eine Empfehlung an die Entscheidungsträger. Und nun kommt die direkte Demokratie ins Spiel. Denn die Entscheidungsträger können beschließen, die Bürger über die Empfehlung direkt abstimmen zu lassen, indem sie einen Bürgerentscheid anschließen. Diesen Weg hat Irland im letzten Jahrzehnt erfolgreich bestritten. Auch ich könnte mir eine solche Kombination vorstellen. Zunächst wird breit informiert und erste Ideen werden eingeholt. Dann wird ein Bürgerrat einberufen und mit der Umsetzung von Vorschlägen beauftragt. Sollte der Bürgerrat eine allgemeine Abstimmung vorschlagen, so müsste der Gemeinderat den Weg dafür freimachen oder direkt eine Entscheidung treffen. Auf jeden Fall ist Bürgerbeteiligung für mich ein Prozess, der weit über das Einholen einer Meinung hinausgeht und der noch besser in unser politisches System eingebunden werden muss. Hier gilt es neue Weg zu beschreiten.
Quellen: