einige Entwicklungen der letzten Wochen haben mich stark beschäftigt. Der Haushaltsentwurf der Bundesregierung hat helles Entsetzen bei mir ausgelöst. Die Krawalle in Frankreich fand ich sehr beunruhigend und das Erstarken der AfD hat eine Suche nach Ursachen bei mir ausgelöst. Und irgendwie hängt das auch alles noch zusammen. Hier meine Gedanken dazu der Reihe nach.
Haushaltsentwurf der Bundesregierung: Am 5.7.23 hat die Bundesregierung ihren Haushaltsentwurf vorgestellt. Der Bundeshaushalt schrumpft stark von 573 Mrd. € auf 476 Mrd. €. In der Begründung dazu heißt es, dass "nun der Krisenmodus expansiver Staatsfinanzen" beendet wird. Wir kehren also zur Normalität zurück. Das ist für mich nicht nachvollziehbar. Wir haben über eine Million ukrainischer Flüchtlinge, eine Energiekrise, eine Wirtschaftskrise und auch den Klimawandel wollen wir bekämpfen. Alles im Normalmodus? Das halte ich für falsch.
Für noch fataler halte ich die Äußerung: "Das verlangt weiterhin kritische Überprüfungen bestehender Ausgaben und Priorisierungen." Bei der Überprüfung der Ausgaben ist im Entwurf herausgekommen, dass der Gesundheitsminister im Jahr 2024 acht Mrd. € sparen kann. Das verwundert mich im Anbetracht der Personalknappheit im Gesundheitswesen und der Absicht, eine große Krankenhausreform zu stemmen. Hier hätte ich eine Priorität erwartet und nicht ein Streichkonzert. Prioritäten wurden auch gesetzt: Der Verteidigungsminister bekommt knapp zwei Mrd. € mehr, dafür muss die Kindergrundsicherung kostenneutral umgesetzt werden (außer zwei Mrd. € mehr für die Digitalisierung der Abwicklung), aus der Rentenkasse kommt ein Zuschuss von 600 Mio. € zum Bundeshaushalt und auch das Bafög wird nicht an die Inflation angepasst.
Die Priorität lautet also: Mehr für Verteidigung, weniger für Soziales. Das ist in Anbetracht eines noch andauernden Preisschocks gerade für Bezieher kleiner Einkommen kein gutes Zeichen, sondern ein Spaltkeil für die Gesellschaft. Ich spreche mich daher dafür aus, nicht Prioritäten zu setzten, die dann wild interpretiert werden können, sondern ich spreche mich dafür aus, notwendigen Bedarf zu befriedigen und dafür die Mittel bereit zu stellen. Da wir uns in einer Krise befinden, muss die Schuldenbremse ausgesetzt werden. Wenn wir eine Million Flüchtlinge aus der Ukraine zusätzlich zum angespannten Wohnungsmarkt unterbringen wollen, dann müssen wir auch die Mittel dafür aufbringen. Ansonsten produzieren wir viele Verlierer auf dem Wohnungsmarkt und selbst dringend benötigte Fachkräfte finden keine Wohnung mehr.
Die Ausgangslage für mehr Verschuldung ist in Deutschland auch sehr gut. Andere führende Industrieländer wie z.B. Japan zeigen, dass selbst eine Vervierfachung (!) der Staatsschuldenquote gut zu meistern ist, und die USA geben in Anbetracht der Wirtschaftskrise und der Schaffung von Unabhängigkeit vom Weltmarkt gerade einen Billionen-Betrag (!) aus. Aus den Finanzberatungen des Bundes ist mir bekannt geworden, dass es uns Grünen nicht gelungen ist, gegen SPD und FDP mehr Geld in den Haushalt zu stellen. Diese Zurückhaltung ist für mich auch deshalb nicht nachvollziehbar, da wir gerade im Begriff sind, in eine Wirtschaftskrise zu kommen und aus der Bauwirtschaft alamierende Signale haben, dass es zu einem Kapazitätsabbau kommen könnte. Wie wir so neue Wohnungen bauen wollen, erschließt sich mir noch weniger.
Noch habe ich eine geringe Hoffnung, dass in den Verhandlungen zum Bundeshaushalt im Herbst einige Verbesserungen erreicht werden. Denn was passieren kann, wenn sich Enttäuschungen und Staatsverdrossenheit aufstauen, das hat man in Frankreich gesehen.
Krawalle in Frankreich: Die Krawalle in Frankreich habe ich zunächst nicht richtig beachtet. Auch dachte ich, dass es sich um Polizeifehler und benachteiligte Ausländer handelt, die nicht richtig in Frankreich angekommen sind. Jedoch waren die Proteste heftig und sehr weit verbreitet. Die Zerstörungen haben sich auch gegen die soziale Infrastruktunr im eigenen Quartier gerichtet und es waren viele Angehörigen der dritten Generation von Einwanderern an den Krawallen beteiligt. Noch mehr verwundert war ich über die Tatsache, dass heftige Krawalle in "Vorzeigevierteln" ausgebrochen sind.
Die Franzosen haben aus den Unruhen der früheren Jahrzehnte einige Lehren gezogen und viel Geld in die Problemviertel der Großstädte investiert. Es scheint jedoch, dass es nicht ausreicht, nur mit Geld Probleme lösen zu wollen. Wobei man dieses Geld schon ausgeben musste, um eine Grundlage für eine Integration zu schaffen (man hätte es also nicht "sparen" können). Zu der Grundlage muss aber auch eine Integration in die Demokratie kommen. Es dürfen sich keine Gegenkulturen bilden, in denen der demokratische Staat dauerhaft ein Feindbild bleibt.
Es wird spannend sein, wie Frankreich mit dieser Erkenntnis umgeht und wie es gelingen kann, solche Gegenkulturen aufzulösen. Sollte es nicht gelingen, diese Gegenkulturen zu integrieren, ist das ein weiterer Nährboden für den Rechtspopulismus.
Erstarken der AfD: Die Wahlerfolge der AfD im Osten der Republik merkt man im Landtag sehr deutlich. Fast keine Rede der AfD mehr ohne den Hinweis auf Sonneberg und zukünftige Wahlerfolge für die AfD. Das war zu erwarten und ist auch gut hinnehmbar, weil es das "Grünen-Bashing" etwas zurückgedrängt hat.
Jedoch stellt sich für mich die Frage nach den Ursachen der Wahlerfolge. Mit Empörung und dem Hinweis auf die dürftigen und kontraproduktiven Lösungen der AfD allein ist es wohl nicht getan. Das Erstarken der AfD hat zum einen wohl damit zu tun, dass einige Wähler der demokratischen Parteien nicht mehr zur Wahl gehen, weil sie keine Änderung durch Wahlen mehr erwarten. Gleichzeitig wollen einige Wähler ihrer Verdrossenheit Ausdruck geben, dass sich Politik ändern muss und es spürbare Erfolge geben sollte. Dazu kommt natürlich ein harter Kern mit rechten Gedankengut, der nun Morgenluft wittert.
Was könnte man nun tun? Mit den obigen Ausführungen habe ich schon vermittelt, dass sich Politik um die notwendigen Bedarfe der Bevölkerung kümmern muss. Das muss alle Gruppen der Gesellschaft umfassen und es muss zu akzeptablen Lebensbedingungen führen. Zum Beispiel: Ein Arbeiten im Mindestlohn muss nach 45 Jahren dazu führen, dass ich eine Rente bekomme, die über der Grundsicherung liegt. Oder: Bafög sollte reichen, um sich auf das Studium konzentrieren zu können. Oder: Kinderbetreuung sollte finanziell machbar sein und es sollte genug Geld in die Ausbildung der Erzieher investiert werden. Oder: Wenn ich einen Umbau der Krankenhauslandschaft möchte, dann muss ich auch ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung stellen, um den Umbau zu stemmen. Die Einsparung kommt ja erst nach dem Umbau und daher ist in der Übergangszeit eine ausreichende Finanzierung notwendig.
Wie das Beispiel Frankreich jedoch zeigt, ist mehr Geld notwendig, um die Grundlagen zu legen, aber nicht allein ausreichend, um staatsfeindliche Regungen zum Erliegen zu bringen. Wir brauchen auch eine Stärkung von demokratischen Werten. Die Ideale der französischen Revolution "Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit" sind für mich dazu immer noch erstrebenswert. Gleiche Chancen in der Bildung für alle bedeutet, dass Bildungserfolg vom Einkommen abgekoppelt werden muss. Ein Mindestlohn muss zu einer Rente über Grundsicherung führen. Gleiche Lebensbedingungen in Stadt und Land bedingen auch Aufrechterhaltung der Gesundheitsversorgung in dünn besiedelten Gebieten. Unsere Arbeitswelt sollte so gestaltet werden, dass Arbeiten nicht krank macht und einen Sinn ergibt. (Hier ist auch noch viel Platz für Gemeinwohlökonomie.) Der Staat muss also für faire Aufstiegsbedingungen einstehen und er muss zugleich zeigen, dass die Demokratie standhaft ist und keine rechtsfreien Paralellwelten duldet. Um dies alles anzugehen, braucht es Mut und ausreichend finanzielle Mittel. Mit Sparen und Hoffen auf Einsparungen oder Steuermehreinnahmen ist das Ziel jedenfalls nicht zu erreichen.
Was steht als nächstes an?
Ich verabschiede mich Ende Juli in eine längere Sommerpause. Anfang September melde ich mich wieder mit einem Newsletter und neuen Terminen.
Am 29.07.23 ab 13:00 Uhr bin ich auf der Dorfpride in Wiesloch. Start der Kundgebung auf dem Adenauerplatz ist 14:00 Uhr. Mehr dazu unter diesem Link.
Mein nächstes Wahlkreistreffen ist am 17. Juli um 19:00 Uhr im Seerestaurant in St. Leon-Rot. Wie immer freue ich mich, wenn ich aus jedem Ortsverein jemanden begrüßen darf. Themenwünsche und Anmeldung gerne über mein Büro: norbert.knopf@gruene.landtag-bw.de
Die nächste Bürgersprechstunde findet am 21.07.2023 von 15 bis 17 Uhr statt. Ich bitte um Anmeldung unter der Mailadresse: norbert.knopf@gruene.landtag-bw.de
Viele Grüße
Hybrides Fachgespräch zur Zukunft des Rentensystems in Stuttgart mit dem Chef der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg, Andreas Schwarz.
Austausch mit dem Radiologen-Netzwerk Curagita AG in Heidelberg zur Situation der Radiologen
Podiumsdiskussion zum anonymen Krankenschein in Karlsruhe. Es gibt immer noch zu viele Menschen ohne Krankenversicherungsschutz in Deutschland.
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